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🇩🇪 Der Alte Bahn-Abzweig

Eine verlassene Bahntrasse mitten in der Großstadt

Mitten in einer pulsierenden Großstadt verbirgt sich ein nahezu magischer Ort, der vom hektischen Treiben darüber fast unberührt bleibt. Hier, an der stillgelegten Bahntrasse am Abzweig Rethel, begegnen sich Vergangenheit und Verfall auf faszinierende Weise. Während oben die Welt in Bewegung bleibt, herrscht unter den massiven Betonbögen und in den dunklen Tunneln eine seltsame Ruhe – als ob die Zeit selbst hier innegehalten hätte. In diesem Artikel nehme ich Dich mit auf eine spannende Entdeckungsreise zu diesem verborgenen Zeugnis urbaner Geschichte.


An einem warmen Frühlingstag begab ich mich auf die Reise zu der stillgelegten Bahntrasse mitten in der Großstadt – einem Ort, der Geschichten von Verfall und Wandel erzählt. Der Himmel war von zarten Wolkenschleiern bedeckt, die die Sonne nur gedämpft durchdringen ließen, und in der Luft lag ein eigentümlicher Mix aus feuchtem Beton und dem erdigen Duft wilder Vegetation. Schon beim ersten Betreten der verrosteten Gleise spürte ich eine Mischung aus Nervenkitzel und Ehrfurcht, die mich sofort in den Bann dieses Ortes zog.

Der Zugang zu diesem verborgenen Relikt war unscheinbar und unspektakulär. Doch je tiefer ich in diese Welt aus Beton und Gestrüpp vordrang, desto mehr verstummte die Welt um mich herum. Eine fast greifbare Stille breitete sich aus, durchbrochen nur vom fernen Echo eines vorbeiziehenden Zuges. Besonders prägend war ein monumentales Jesus-Graffiti, das unter einem der Betonbögen thronte. Die künstlerische Darstellung wirkte wie ein stiller Segen für diesen geheimnisvollen Ort, während die Natur unaufhaltsam begann, die steinernen Mauern und eisernen Schienen in ihr Reich zurückzuholen. Grünes Blattwerk und zarte Ranken schienen hier genauso Teil der Geschichte zu sein wie der rostige Stahl.

In einer unscheinbaren Ecke erweckte ein verstaubter, geöffneter Aktenkoffer meine Aufmerksamkeit. Er war umgeben von Holzsplittern und Trümmern, wie die sterblichen Überreste einer verlorenen Episode. Welche Geheimnisse mochten in diesem Koffer verborgen gewesen sein? War er Teil eines alten Arbeitsalltags oder stummer Zeuge einer dramatischen Wende? Dieser Gedanke faszinierte mich, und ich stellte mir vor, welche Menschen hier schon Schutz gesucht haben könnten. Später trafen wir an diesem Ort einen ehemaligen Bewohner – einen Obdachlosen, der jahrelang die schützenden Tunnel als sein Zuhause genutzt hatte. Er war ein Aussteiger, den das Leben nicht immer freundlich behandelt hatte. Dennoch gelang es ihm, aus dieser schwierigen Zeit herauszukommen: Laut einem Zeitungsbericht hat er inzwischen nicht nur eine eigene Wohnung, sondern auch eine feste Arbeit gefunden. Seine Lebensgeschichte, geprägt von Rückschlägen und einem beeindruckenden Neuanfang, verlieh der Szenerie eine berührende Note von Hoffnung und Menschlichkeit.


Geschichte

Die stillgelegte Bahntrasse am Abzweig Rethel war einst Teil der regionalen Infrastruktur, die den Güterverkehr optimieren sollte. Ursprünglich wurde die Trasse bereits im 19. Jahrhundert angelegt, jedoch erlebte sie 1932 eine umfassende Wiederinbetriebnahme. Ihr Ziel war es, Güterzüge vom Hauptbahnhof fernzuhalten und den Personenverkehr zu entlasten. Durch ihre strategische Lage verband sie wichtige Industriezentren und spielte über Jahrzehnte hinweg eine zentrale Rolle im Güterverkehr.

Die Bahntrasse erlebte ihre Blütezeit in der Mitte des 20. Jahrhunderts, als sie nicht nur ein bedeutender Umschlagpunkt für den Güterverkehr war, sondern auch eine dunkle Rolle während des Zweiten Weltkriegs spielte. Die Trasse und ihre angrenzenden Bahnhöfe dienten als zentrale Sammelpunkte für Deportationen. Tausende Menschen wurden hier zusammengeführt und auf Züge verladen, die sie in Ghettos und Konzentrationslager transportierten – ein erschütterndes Kapitel in der Geschichte dieser Strecke. Nach dem Krieg wurde die Trasse weiterhin für den industriellen Verkehr genutzt, verlor jedoch mit dem Niedergang der Schwerindustrie und der Verlagerung des Güterverkehrs auf andere Routen zunehmend an Bedeutung. In den 1990er Jahren wurden große Teile stillgelegt, und die einst belebten Gleise verfielen zusehends. Heute sind sie eine stille, von der Natur überwucherte Passage, die von vergangenen Zeiten und den Geschichten der Menschen, die hier einst verweilten, zeugt.

Heute ist die Bahntrasse ein Ort des Verfalls und der Transformation. Die Gleise sind von Rost überzogen, und zwischen den Betonsäulen ranken sich Pflanzen empor. Die Wände der Tunnel und Unterführungen sind von Graffiti bedeckt, die von der urbanen Kunstszene zeugen. Die Atmosphäre ist einzigartig: ein Mix aus industrieller Melancholie und lebendiger Kreativität. Der alte Charme der Trasse ist trotz des Verfalls spürbar.

Die Trasse bleibt vorerst ungenutzt und ist nur Eingeweihten bekannt. Es gibt Pläne, Teile der Strecke für Wander- oder Radwege zu erschließen, doch bis dahin bleibt sie ein geheimer Treffpunkt für Urban Explorer, Fotografen und Abenteurer. Der Status als unberührter, versteckter Ort wird vielleicht eines Tages der Vergangenheit angehören.


Informative Fakten

  • Bauweise: Die Betonbögen und Tunnel sind für ihre Stabilität und das klare, industrielle Design bekannt. Sie wurden so konstruiert, dass sie den schweren Güterzügen standhalten.
  • Graffiti: Besonders das große Jesus-Graffiti fällt sofort ins Auge. Es verbindet Elemente der Street Art mit religiöser Symbolik und verleiht dem Ort eine eigenwillige, fast spirituelle Präsenz, die sich harmonisch in die verfallene Umgebung einfügt.
  • Fundstücke: Der Aktenkoffer, den ich entdeckte, war ein faszinierendes Relikt vergangener Zeiten. Seine Herkunft bleibt ungewiss, doch er vermittelt einen Eindruck von den Menschen, die hier einst verweilten oder Schutz suchten. Die Spuren von Staub und Verfall lassen Raum für Spekulationen – ob er Teil des Alltags eines Arbeiters war oder stummer Zeuge eines besonderen Ereignisses, bleibt ein Geheimnis.
  • Vegetation: Die Bahntrasse wird zunehmend von Pflanzen überwuchert. Entlang der ungenutzten Gleise hat sich eine eigentümliche, fast idyllische Vegetation ausgebreitet, die aus Gräsern, Moos und jungen Bäumen besteht. Diese unkontrollierte Begrünung ist ein Zeichen dafür, wie schnell sich die Natur verlorenes Terrain zurückholt.

Der Besuch der verlassenen Bahntrasse offenbarte eine Szenerie voller Gegensätze. Der Verfall der einst bedeutenden Infrastruktur steht in scharfem Kontrast zur Vitalität der Natur, die sich das Terrain langsam zurückerobert. Melancholie schwingt mit, wenn man an die dunklen Kapitel der Vergangenheit denkt, doch gleichzeitig bietet der Ort eine Hoffnung auf Wandel und Neuanfänge. Es bleibt zu hoffen, dass diese Trasse auch in Zukunft einen Platz für Reflexion und Inspiration bietet – sei es als Denkmal, das an vergangene Zeiten erinnert, oder als Raum, den Mensch und Natur neu gestalten.


Frisch ↔ Lange Verlassen
Einmal kurz durchwischen ↔ Morbider Charme
Vandalismus ↔ Natürlicher Verfall
Leere Räume ↔ Viel zu entdecken
Schöne Weitwinkelmotive
Detailaufnahmen
Außenaufnahmen
Persönliche Wertung

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Rico Mark Rüde

Seit 2002 widmet er sich der urbanen Erkundung, indem er unbekannte Orte aufspürt, die oft im Verborgenen liegen, obwohl sie mitten unter uns sind. Seine Entdeckungen hält er fotografisch fest und bereichert sie in seinem Blog mit ausführlichen Recherchen und Texten. Neben seinem Interesse für das Urbexing engagiert er sich auch im Schreiben von Geschichten und Büchern sowie im detailreichen Modellbau.

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