Zwei Jahre sind vergangen, seit Joachim nicht mehr da ist. Ich weiß noch genau, wie es war, als ich in sein Zimmer im Krankenhaus kam, und statt seines vertrauten Gesichts fremde Menschen vorfand. Man schickte mich in die Notaufnahme, wo mich eine Ärztin erwartete. Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag: Joachim war gestorben. Kein Abschied, keine letzte Umarmung, einfach nur diese Nachricht, kalt und unbegreiflich. Und so stehe ich heute hier, zwei Jahre später, mit diesen Erinnerungen, die sich wie schwere Steine auf mein Herz legen.
Joachim war nicht nur ein Freund. In den zwei Jahren, die wir zusammen hatten, wurde er zu einem Teil meiner Seele – mein Anker, meine Inspiration, mein bester Begleiter auf unseren Foto-Touren. Immer, wenn ich die Bilder anschaue, die er gemacht hat, denke ich an die Brücke. Nicht die reale Brücke, die wir nie gemeinsam besucht haben, sondern die Brücke, die sich symbolisch zwischen uns spannt. Eine Brücke, die ihn nun auf die andere Seite gebracht hat – und mich auf dieser Seite zurückgelassen hat.
Es war ein normaler Tag, als wir uns entschieden, die „Bergische Sonne“ zu besuchen, ein altes Freizeitbad. Nichts Außergewöhnliches, nur eine weitere Tour, wie wir sie schon oft gemacht hatten. Auf dem Weg dorthin passierte es: Joachim knickte um. Es war keine große Sache, dachten wir beide. Doch das Lachen verging, als wir einen Rettungswagen brauchten, um ihn von dort wegzubekommen. Er wurde an dem Tag noch operiert. Tage vergingen, und die Ärzte sagten, er könne bald entlassen werden. Doch dann, einen Tag vor seiner Entlassung, trat das ein, was niemand erwartet hatte – eine Lungenembolie. Das Schicksal schlug zu, als wir es am wenigsten erwarteten.
Ich werde diesen Moment nie vergessen, als ich im Krankenhaus war. Es war, als hätte sich die Zeit für einen Moment ausgedehnt, jede Sekunde fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Die Ärztin erklärte mir die Situation, aber ihre Worte klangen wie durch einen Nebel. Es war nicht zu begreifen. Joachim, der immer so stark und lebendig war, sollte plötzlich nicht mehr da sein?
Heute blicke ich oft auf die Bilder, die er gemacht hat. Besonders die von dieser Brücke, die er 2015 fotografierte. Er sah die Welt auf seine eigene Weise, und genau das liebte ich an ihm. Diese Brücke steht für so vieles – für seine Weitsicht, seine Geduld, seine Art, immer das Verborgene zu entdecken, wo andere nur das Offensichtliche sahen. Jetzt ist sie auch für mich ein Symbol für den Übergang. Er ist auf der anderen Seite, und ich stehe hier.
Unsere Freundschaft begann fast zufällig, doch sie entwickelte sich schnell zu etwas, das viel mehr war. In den zwei Jahren, die wir gemeinsam verbrachten, besuchten wir unzählige „Lost Places“ – verlassene Fabriken, stillgelegte Bahnhöfe, längst vergessene Gebäude. Für uns war das nicht nur ein Hobby, es war eine Art, uns in der Welt zu verlieren, und gleichzeitig uns selbst zu finden. Jede Tour war eine neue Entdeckung, und jedes Bild erzählte eine Geschichte.
Wir waren wie Topf und Deckel – unterschiedlich, aber perfekt aufeinander abgestimmt. Ich erinnere mich an diese Touren, bei denen wir oft im Dunkeln losfuhren und erst im Dunkeln wieder zurückkehrten. Die Welt der verlassenen Orte hatte für uns etwas Magisches. Sie war still, und in dieser Stille fanden wir oft den besten Teil unserer Freundschaft. Joachim war ein Mensch, der mit wenig Worten viel ausdrücken konnte. Ein Blick von ihm reichte oft, um zu wissen, was er dachte.
Besonders intensiv war das letzte Jahr unserer Freundschaft. 2017, als ich psychisch durch eine schwere Zeit ging und in die Arbeitslosigkeit rutschte, war er mein Fels in der Brandung. Ohne viele Worte setzte er mich ins Auto und fuhr mit mir von einer Location zur nächsten. Diese Ausflüge halfen mir, wieder auf die Beine zu kommen. Joachim wusste genau, wann er etwas sagen musste, und wann es besser war, einfach nur da zu sein. Diese Zeit hat mich geprägt, und sie zeigt mir heute, wie tief unsere Verbindung war.
Joachim hinterließ keine Familie. Ich war einer der wenigen, die ihm in den letzten Tagen seines Lebens nahestanden. Der Verlust traf mich tief. Noch heute denke ich oft an die Tage zurück, wenn ich von einer Tour heimkehre. Diese Leere, die bleibt, wenn jemand, der so wichtig für einen war, plötzlich nicht mehr da ist, ist schwer in Worte zu fassen.
Die Brücke, die er damals fotografierte, wurde für mich ein Symbol dieses Verlusts. Es ist eine Brücke, die er mir gezeigt hat, ohne dass wir sie je gemeinsam überquert hätten. Eine Brücke, die mich immer an ihn erinnern wird. Ich stelle mir oft vor, wie wir beide auf dieser Brücke stehen und auf die andere Seite blicken. Er hat diesen Schritt gemacht, und ich bin hier – vielleicht eines Tages bereit, ihm zu folgen.
In den letzten zwei Jahren hat sich vieles verändert. Ich habe weiter fotografiert, nachdem ich erst kurz davor war, das Hobby an den Nagel zu hängen. Doch es ist nicht mehr dasselbe. Immer wenn ich durch die Linse schaue, sehe ich nicht nur das Motiv, sondern auch die Erinnerung an Joachim. Manchmal höre ich seine Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, welchen Winkel ich wählen soll, welches Licht am besten ist. Er ist immer da, auch wenn er nicht mehr bei mir ist.
Unsere gemeinsamen Touren durch Deutschland, die Niederlande und Belgien waren mehr als nur Ausflüge. Sie waren Momente, in denen wir dem Alltag entkamen und etwas Größeres fanden – eine Art von Freiheit, die wir in den stillen, verlassenen Orten fanden. Diese Freiheit ist heute schwieriger zu finden, doch ich weiß, dass Joachim sie mir hinterlassen hat.
In Zukunft werde ich weiter machen. Ich werde weiterhin die Orte besuchen, die wir einst gemeinsam entdeckt haben, und neue Orte finden, die er sicher geliebt hätte. Und jedes Mal, wenn ich eine verlassene Fabrik oder eine stillgelegte Eisenbahnstation betrete, wird ein Teil von ihm bei mir sein. Diese Brücke, die er fotografierte, wird immer ein Symbol dafür sein, dass er auf der anderen Seite auf mich wartet.
Joachim war ein stiller, nachdenklicher Mensch. Er sprach nicht viel, aber wenn er es tat, dann hatte es Bedeutung. Seine größte Leidenschaft war die Fotografie, und er ging darin auf, verlassene Orte und ihre Geschichten festzuhalten. Für ihn war Fotografie mehr als nur ein Bild – es war eine Art, die Zeit einzufrieren, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen.
Was ich besonders an ihm schätzte, war seine Fähigkeit, zuzuhören, ohne zu urteilen. Er war immer da, wenn man ihn brauchte, ohne sich aufzudrängen. Diese Eigenschaften machten ihn zu einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben. In den zwei Jahren, die wir gemeinsam hatten, habe ich mehr über mich selbst gelernt, als in vielen Jahren davor.
Unsere gemeinsamen Foto-Touren waren oft spontan. Wir setzten uns ins Auto und fuhren einfach los, ohne zu wissen, wo wir am Ende landen würden. Und das war das Schöne daran. Joachim hatte immer ein Auge für das Ungewöhnliche, das Verborgene. Und er brachte mir bei, dass es nicht darum geht, den perfekten Ort zu finden, sondern den Moment.
Joachim ist auf der anderen Seite der Brücke. Aber die Verbindung, die wir hatten, bleibt bestehen. Diese Brücke, die er fotografiert hat, wird für mich immer ein Symbol unserer Freundschaft sein. Ich werde weitergehen, neue Orte entdecken, neue Fotos machen – aber ich werde immer an ihn denken, an die vielen Momente, die wir geteilt haben, und an die Freundschaft, die uns verbunden hat. Irgendwann, vielleicht, werde ich selbst diese Brücke überqueren. Aber bis dahin werde ich sie hüten, als Zeichen für das, was bleibt.
Quellen
Meine Informationen stammen aus den persönlichen Erlebnissen mit Joachim, den Touren, die wir gemeinsam unternommen haben, und den vielen Gesprächen, die wir geführt haben.
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