Es gibt Orte, die eine besondere Aura der Vergangenheit ausstrahlen, als wären sie Zeitkapseln, die darauf warten, entdeckt zu werden. Einer dieser Orte ist ein längst vergessener Zug, der fälschlicherweise als „Orient Express“ bezeichnet wird. Doch dieser Zug hat nichts mit dem legendären Zug zu tun, der einst von Paris nach Istanbul fuhr. Stattdessen erzählt er seine eigene Geschichte – eine Geschichte von Luxus, Krieg und schleichendem Verfall.
Am 16. Oktober 2016, an einem sonnigen Herbstnachmittag, machte ich mich auf den Weg zu einem Ort, der schon lange auf meiner Liste stand. Der sogenannte „Orient Express“, ein verlassener Zug, der tief in der belgischen Provinz auf einem Abstellgleis sein trauriges Dasein fristete. Die Luft war erfüllt von einer Mischung aus Rost, verfallenem Holz und der unverkennbaren Note von jahrelanger Vernachlässigung.
Der Zug, der offiziell als 654.02 – 8ES bekannt ist, hatte einst die Strecke zwischen Ostende und Köln bedient. Gebaut von der belgischen Firma Baume & Marpent, sollte er in den Jahren 1936 bis 1946 als luxuriöses Fortbewegungsmittel für wohlhabende Reisende dienen. Doch wie so viele Relikte aus der Vergangenheit, blieb auch dieser Zug nicht von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs verschont. Bombenangriffe beschädigten zwei der drei identischen Fahrzeuge, doch sie wurden repariert und kehrten nach dem Krieg wieder in den Dienst zurück.
Als ich mich dem Zug näherte, bemerkte ich die Spuren der Zeit, die unbarmherzig an ihm genagt hatten. Die Farbe war abgeblättert, und Rost hatte sich wie eine Krankheit über die einst prächtigen Wagen ausgebreitet. Dennoch war es faszinierend zu sehen, wie viel von der ursprünglichen Pracht noch erhalten geblieben war. Die Sitze, wenn auch zerfressen von der Zeit, zeugten von einem Luxus, der längst vergangen ist. Es war, als hätte der Zug nur darauf gewartet, dass jemand seine Geschichte entdeckt und weitererzählt.
Der 654.02 – 8ES war Teil einer Serie von drei identischen Zügen, die für schnelle Verbindungen zwischen Belgien und Deutschland gebaut wurden. Sein Baujahr 1936 fiel in eine Zeit, in der Europa auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs zusteuerte. Der Zug war ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, ausgestattet mit einem 8-Zylinder-Reihen-Dieselmotor, der eine Leistung von 540 kW (734 PS) erbrachte und ihn auf eine Höchstgeschwindigkeit von 135 km/h brachte.
Während des Krieges wurden zwei der drei Züge durch Bombenangriffe schwer beschädigt. Doch nach dem Krieg wurden sie repariert und weiterhin auf verschiedenen Strecken in Belgien eingesetzt. Der 654.02 diente auf der Strecke Brüssel – Mons – Tournai und schließlich bis zu seinem Betriebsende 1966 auf der Strecke Charleroi – Couvin. Nach seiner Ausmusterung begann für den Zug eine Phase des schleichenden Verfalls. Das Bahnbetriebswerk R.S.I. in Ostende, wo der Zug gewartet wurde, schloss etwa 2006 seine Tore. Der 654.02 blieb zurück und rostete langsam vor sich hin.
Obwohl dieser Zug oft als „Orient Express“ bezeichnet wird, hat er mit dem echten Orient Express nur wenig gemein. Der Name könnte auf das Bahnbetriebswerk R.S.I. in Ostende zurückzuführen sein, wo auch der echte Orient Express gewartet wurde. Es war wohl dieser Hauch von Luxus, der den 654.02 mit seinem berühmten Namensvetter verband.
Im Jahr 2018 wurde der Zug schließlich von seinem Abstellplatz abtransportiert. Sein endgültiges Schicksal bleibt ungewiss. Ob er restauriert wird oder für immer verschwindet, bleibt abzuwarten. Doch für mich wird dieser Zug immer ein Symbol für die Vergänglichkeit der Dinge sein – ein eindrucksvoller Beweis dafür, wie schnell der Glanz des Vergangenen verblassen kann, wenn er der Zeit überlassen wird.
Meine Reise zum „Orient Express“ war mehr als nur ein Ausflug zu einem verlassenen Ort. Es war eine Reise in die Vergangenheit, in eine Zeit, in der Luxuszüge wie dieser die Eliten Europas durch das Herz des Kontinents transportierten. Doch so wie die Zeit nicht stillsteht, so hat auch dieser Zug seinen Glanz verloren und wurde letztendlich seinem Schicksal überlassen.
Heute, da er abtransportiert wurde, bleibt nur noch die Erinnerung und die Fotos, die ich an diesem Nachmittag gemacht habe. Sie erzählen die Geschichte eines Zuges, der einst für seine Pracht bewundert wurde, dann aber dem Verfall preisgegeben wurde. Diese Fotos sind mehr als nur Bilder; sie sind ein Zeugnis der Vergänglichkeit, ein Beweis dafür, dass selbst das Schönste und Mächtigste irgendwann der Zeit zum Opfer fällt.
So endet die Geschichte dieses „Orient Express“, eines Zugs, der nie wirklich einer war, und doch eine Geschichte zu erzählen hatte, die so reich und faszinierend ist wie die des Originals. Wenn Du das nächste Mal an einem alten, verlassenen Ort vorbeikommst, denke daran, dass auch dort Geschichten warten, die nur darauf hoffen, von jemandem entdeckt und weitererzählt zu werden.
Frisch ↔ Lange Verlassen
Einmal kurz durchwischen ↔ Morbider Charme
Vandalismus ↔ Natürlicher Verfall
Leere Räume ↔ Viel zu entdecken
Schöne Weitwinkelmotive
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Außenaufnahmen
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