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🇧🇪 Prison H11

Verborgene Geschichte hinter Mauern aus Stein

Manche Orte strahlen eine stille, doch unübersehbare Faszination aus. Sie erzählen keine Geschichten lautstark, sondern verstecken sie zwischen bröckelnden Wänden, in staubigen Räumen und hinter schweren, rostigen Türen. Genau so ein Ort ist die verlassene Caserne Major Cogniaux – auch bekannt als Prison H11. Dieser unscheinbare Teil der Geschichte liegt inmitten der belgischen Provinz Lüttich und birgt eine Fülle von Erlebnissen und Erinnerungen, die sich über Jahrzehnte angesammelt haben. An zwei Tagen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, besuchte ich diesen Ort und erlebte, wie er Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbindet.


Es war ein heißer, drückender Sommertag im Juli, als mein Begleiter das Auto in einer Seitenstraße nahe dem Kaserne-Gelände parkte. Der Weg zum Eingang führte uns durch ruhige Straßen – der Kontrast zwischen der urbanen Umgebung und dem fast unwirklichen Verfall der ungenutzten Gebäude war verblüffend. Schon von Weitem konnte man die rostigen Gitter und die hohen, massiven Mauern sehen, die das Gelände umgaben. Der Duft von trockenem Asphalt vermischte sich mit der Feuchtigkeit, die aus den alten Mauern drang. Der Tag war heiß, die Luft beinahe schwer zu atmen, und doch lag eine fast erdrückende Stille über dem Gelände.

Als wir das Gebäude betraten, war es, als würde man in eine andere Welt eintreten. Der Temperaturunterschied war sofort spürbar – die dicken Mauern hielten die Hitze draußen, und in den Räumen herrschte eine kühle, fast unheimliche Atmosphäre. Die Luft roch nach Verfall, nach modrigem Putz, und in den leeren Gängen hallten unsere Schritte wider. Überall, wo wir hinsahen, schienen die Zeichen der Zeit gegenwärtig. Die Wände bröckelten, der Putz fiel in großen Stücken von den Decken, und das Licht fiel großzügig durch die Fenster.

Besonders beeindruckend war die Stimmung im Zellentrakt. Jede Zelle erzählte ihre eigene Geschichte. Einige Türen standen offen, während andere geschlossen und mit dicken Riegeln versehen waren. Es war, als ob die Zeit hier stillgestanden hätte – und doch war es unübersehbar, dass Jahrzehnte vergangen waren, seit hier das letzte Mal Menschen eingesperrt waren.

Fast ein Jahr später, an einem Frühlingsabend im April, führte mich mein Weg erneut an diesen Ort. Es war eine spontane Entscheidung – wir waren auf dem Heimweg von einer längeren Tour und entschlossen uns, die Kaserne nochmals zu besuchen. Diesmal lag der Ort in einem sanfteren Licht – die tiefstehende Abendsonne tauchte die verfallenen Gebäude in ein warmes, goldenes Glühen. Die Atmosphäre war ruhig und fast friedlich, obwohl der Verfall nach wie vor überall sichtbar war. Es war faszinierend zu sehen, wie der Ort je nach Tageszeit und Wetter seine Stimmung änderte.

Geschichte

Entstehung und frühe Nutzung

Die Caserne Major Cogniaux wurde ab 1887 errichtet und diente dem belgischen Militär als bedeutender Standort für Infanterieeinheiten. Die Kaserne war zu ihrer Zeit ein Paradebeispiel für fortschrittliche Militärarchitektur. Neben den regulären Mannschaftsunterkünften verfügte das Gelände über technische Innovationen wie eine Wasserrückgewinnungsanlage, Dampfkessel zur Beheizung der Küche und sogar über rollbare Trockengestelle in der Waschküche – für die damalige Zeit ein Zeichen technologischer Modernität.

Die Kaserne wurde offiziell 1890 bezogen und war in den ersten Jahrzehnten Heimat verschiedener Bataillone. Besonders bekannt war sie als Stützpunkt für das 12. und später das 15. Infanterieregiment. Während des Ersten Weltkriegs diente die Anlage hauptsächlich als Unterkunft für belgische und alliierte Soldaten, während sie in der Zwischenkriegszeit weiterhin von belgischen Truppen genutzt wurde.

Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzung

Während des Zweiten Weltkriegs erlebte die Kaserne Major Cogniaux eine ihrer dunkelsten Zeiten. Mit der deutschen Besetzung Belgiens im Mai 1940 wurde die Anlage schnell von den Besatzungstruppen übernommen. Es ist bekannt, dass verschiedene Einheiten der deutschen Wehrmacht hier stationiert waren, darunter Truppen der Feldgendarmerie, die für die Kontrolle und Überwachung der belgischen Bevölkerung verantwortlich waren. Die Kaserne diente auch als Gefängnis für Widerstandskämpfer und Zivilisten, die gegen die Besatzung aufbegehrten.

Während dieser Zeit wurde der Zellentrakt, den wir heute als Prison H11 kennen, häufig zur Inhaftierung von politischen Gefangenen genutzt. Die Bedingungen in diesen Zellen waren hart – mangelnde Belüftung, Dunkelheit und Kälte prägten den Alltag der Gefangenen. Viele der Menschen, die hier festgehalten wurden, sahen die Außenwelt nicht wieder. Der Zellentrakt, der uns heute so fasziniert, war einst ein Ort des Leidens und der Verzweiflung.

Als die alliierten Truppen Belgien befreiten, wurde die Kaserne von den Amerikanern übernommen. Interessant dabei ist die Trennung zwischen weißen und afroamerikanischen Soldaten. Während die weißen Soldaten in den regulären Mannschaftsräumen untergebracht waren, mussten afroamerikanische Soldaten in den umgebauten Stallungen schlafen – ein klares Zeichen der damaligen Rassentrennung, selbst innerhalb der alliierten Streitkräfte.

Nachkriegszeit und Verfall

Nach dem Ende des Krieges und dem Abzug der amerikanischen Truppen im Jahr 1946 kehrte das belgische Militär zurück in die Kaserne. Doch der militärische Nutzen des Geländes nahm in den folgenden Jahrzehnten stetig ab. Verschiedene Einheiten wurden stationiert und wieder abgezogen, und ab den 1990er Jahren begannen die ersten Gebäude zu verfallen. Der letzte militärische Nutzer verließ die Kaserne 1994, und seitdem begann der langsame, aber unaufhaltsame Verfall.

Es gab verschiedene Versuche, das Gelände zu revitalisieren. Im Jahr 2005 wurde ein Teil der Kaserne von einer Investmentfirma aufgekauft, mit dem Ziel, Teile der Gebäude in Lofts und Wohnräume umzuwandeln. Einige dieser Projekte wurden umgesetzt, doch der Zellentrakt blieb bis zu meinem Besuch unberührt. Zu dieser Zeit war der Ort eine beliebte Anlaufstelle für Urban Explorer, die das geheimnisvolle Flair dieses verlassenen Militärgeländes zu schätzen wussten.

Informative Fakten

Der Zellentrakt war ursprünglich ein Teil des Disziplinarsystems der belgischen Armee. Soldaten, die gegen die Regeln verstießen, wurden hier für kurze Zeiträume inhaftiert. Die Zellen waren klein, dunkel und spärlich eingerichtet, und ihre massive Bauweise sorgte dafür, dass wenig Licht und Luft in den Innenraum drang. Die harten Bedingungen in den Zellen sollten die Strenge des Militärdienstes unterstreichen und die Disziplin aufrechterhalten.

Die Kaserne selbst verfügte über mehrere technologische Innovationen, die für ihre Zeit herausragend waren. Die Anlage zur Rückgewinnung von Regenwasser war besonders effizient und ermöglichte es, große Mengen Wasser für den täglichen Betrieb zu nutzen. Auch die Dampfkessel, die die Küchen beheizten, zeugen von dem hohen Standard, den die Kaserne bot. Diese Fortschritte zeigten, dass das belgische Militär bestrebt war, modernste Technik in ihre Einrichtungen zu integrieren.

Heute ist der Zellentrakt besonders in Urbex-Kreisen bekannt. Er trägt den Spitznamen Prison H11 und ist eines der beliebtesten Fotomotive der Anlage. Urbexer schätzen besonders die unberührte Atmosphäre und die Tatsache, dass der Trakt weitgehend von Vandalismus verschont geblieben ist.


Mit jedem meiner Besuche in der Caserne Major Cogniaux entdeckte ich neue Facetten dieses Ortes. Die Geschichte ist in jedem Stein, in jeder verfallenen Mauer und in jedem Raum spürbar. Doch was diesen Ort so faszinierend macht, ist nicht nur der Verfall, sondern auch die Geschichten, die er in sich trägt. Von der militärischen Nutzung über die dunklen Zeiten des Zweiten Weltkriegs bis hin zur Rolle als Lost Place – die Kaserne und besonders der Zellentrakt sind stille Zeugen einer bewegten Vergangenheit.

Auch wenn der Ort heute verlassen ist, lebt seine Geschichte weiter – in den Erinnerungen, den Erzählungen und in den stillen Erkundungen jener, die den Mut haben, hinter die Fassaden zu blicken.



Quellen

  1. ABL Militaria: Detaillierte historische Chronik der Caserne Major Cogniaux und ihrer militärischen Nutzung von der Errichtung bis zur Schließung.
  2. Lipinski.de: Technologische Details der Kaserne und ihre Umbaupläne nach dem Ende der militärischen Nutzung.
  3. Eigene Erlebnisse: Basierend auf meinen Besuchen im Juli 2016 und April 2017, ergänzt durch historische Recherchen und Beobachtungen vor Ort.
Frisch ↔ Lange Verlassen
Einmal kurz durchwischen ↔ Morbider Charme
Vandalismus ↔ Natürlicher Verfall
Leere Räume ↔ Viel zu entdecken
Schöne Weitwinkelmotive
Detailaufnahmen
Außenaufnahmen
Persönliche Wertung

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Quellen
ABL MilitariaDer SpurensammlerPixelgranatenUrbexNL

Rico Mark Rüde

Seit 2002 widmet er sich der urbanen Erkundung, indem er unbekannte Orte aufspürt, die oft im Verborgenen liegen, obwohl sie mitten unter uns sind. Seine Entdeckungen hält er fotografisch fest und bereichert sie in seinem Blog mit ausführlichen Recherchen und Texten. Neben seinem Interesse für das Urbexing engagiert er sich auch im Schreiben von Geschichten und Büchern sowie im detailreichen Modellbau.

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