Fototrips

Das Leben eines Fahrradkuriers (eine fiktive Story)

Hallo, mein Name ist Marco und ich bin 32. Ich bin Fahrradkurrier in einer der größten Städte der Rhein-Ruhr-Region. Eigentlich müsste man sagen, das Leben eines Fahrradkurriers wäre total super: immer an der frischen Luft, man lernt viele verschiedene Charaktere kennen, man hat seine tägliche Bewegung. Doch glaubt mir, liebe Leute, es ist nicht alles eitel Sonnenschein.

Ich möchte euch heute mal einen Tag aus meinem Leben beschreiben. Ich wohne in einer kleinen 45qm Wohnung mitten in der City. Zusammen mit meinen 2 Wellensittichen “Toto” und “Harry” lebe ich ein unauffälliges, aber weitgehend sorgenfreies Leben. Jeden Morgen um 7:00 Uhr klingelt mein Wecker. Noch etwas schlaftrunken wanke ich ins Badezimmer und mache mich erstmal frisch für den Tag, dann gebe ich meinen 2 kleinen Lieblingen frisches Wasser und ggf. frisches Futter.

Während die beiden fröhlich zwitschern mache ich mir mein Frühstück und setze einen frischen Kaffee auf. Nachdem ich dann ausgiebig gefrühstückt und mich für den Tag gestärkt habe, verlasse ich um kurz nach 8 meine Wohnung und schwinge mich auf mein Rad in Richtung Arbeit. Da ich den ganzen Tag mit dem Rad unterwegs bin, hat mein Chef mir gestattet, das Dienstrad auch für den Hin- und Rückweg zur Arbeit zu nutzen.

Also radele ich die knapp 3,5 km zum Sortierdepot um meine täglichen Briefe abzuholen. Nachdem ich das Fahrrad gesichert abgestellt habe und das Depot betreten habe, begrüße ich erstmal alle Anwesenden auf meinem Weg an meinen Sortierplatz. Kaum in meinen Gang eingebogen, erwarten mich schon 3 volle Kisten mit Briefen, die nur so zu schreien scheinen: “Trag uns aus, trag uns aus !” So mache ich mich also an die Sortierung in 2 Unterteilungen: “den alten Bezirk”, dort leben meist ältere Familien und Senioren, die man schon seit Jahren kennt und den “den jungen Bezirk”, ein Neubaugebiet am Rande der City, hier trifft man meist auf Single-Haushalte oder junge Familien. Nach einer dreiviertel Stunde habe ich alles nötige für heute sortiert und mache mich heute auf meine Runde durch den alten Bezirk.

Meine Kunden kennen meine Routen genau und wissen, dass ich die unterteilten Blöcke im täglichen Wechsel anfahre. Mein erster Halt führt mich zu Frau Schneider, einer älteren Dame, die mit ihrem Dackel “Jerry” in einem etwas versteckten Hinterhaus wohnt. Ich klingel und höre Jerry schon im Hausflur kläffen. Der kleine, auch schon etwas betagtere Kerl weiß, wenn der Postbote klingelt gibt es immer ein Leckerli. Frau Schneider öffnet, wir begrüßen uns und ich gebe Jerry sein Leckerli. Als Frau Schneider ihre Briefe entgegennimmt, fragt sie mich wie immer in ihrer netten Art, ob ich nicht eine Tasse Kaffee möchte. Ich lächle und verneine es dankend, der Tag ist schließlich noch lang. Wir verabschieden uns und auch Jerry bekommt nochmal eine kurze Streicheleinheit zum Abschied, dann bin ich auch schon wieder weiter unterwegs.

Die nächsten Häuser sind alles Mehrfamilienhäuser mit Außenbriefkästen, also relativ schnell erledigt und so geht der Vormittag auch langsam zur Neige. Gegen 13 Uhr lege ich meine 45-minütige Mittagspause ein, bei meinem Lieblingsmetzger mit den besonders leckeren Brötchenvarianten. Nach einer herzhaften Mahlzeit steht so also der 2. Teil der heutigen Tour an, weiter geht es durch kleine verwinkelte Gassen hin zur Einkaufsstraße, an manchen Tagen eine wahre Slalomstrecke. Nach dem ich die ersten kleinen Häuser abgearbeitet habe, und die Straße hinauf fahre, kommt auf einmal ein LKW rückwärts aus einer Toreinfahrt gesetzt. Da dieser LKW relativ flott zurücksetzt kann ich einen Zusammenstoß nur durch eine scharfe Bremsaktion verhindern, noch mal Glück gehabt. Vor dem nächsten Ladenlokal stehen Fatih und Ismail, die einen Friseursalon und einen Obstladen nebenan betreiben. Ich grüße die beiden und drücke ihnen ihre Briefe in die Hand.

Nachdem ich alle Geschäfte mit ihrer Post versorgt habe, geht es noch in den alten St. Martinus-Stift, der örtlichen großen Altersresidenz. Dort werde ich heute den letzten größeren Haufen Briefe los. Ich gehe zur Rezeption und grüße den Rezeptionisten beim Vornamen. Er gibt mir wie alle 2 Tage das Buch mit dem Verzeichnis, welcher Bewohner in welchem Haustrakt wohnt, denn jeder Trakt hat eigene Briefkästen, in die ich dann die jeweiligen Briefe stecken kann.

In der Natur der Sache liegt es, dass sich der oder andere Bewohner von uns verabschiedet hat. So auch dieses Mal. “Hm, Frau Wächter ist verstorben ?” entgegne ich mit gedämpfter Stimme. “Ja und Herr Marssen leider auch, beide friedlich in ihren Betten entschlafen”, erwidert Stefan, der schon seit 20 Jahren hier an der Rezeption arbeitet. Ich zücke also meinen kleinen Notizzettelblock und mache auf die Briefe für die Verstorbenen einen Vermerk, denn direkt Verwandte sind dem Stift nicht bekannt. “Leider verstorben, zurück an den Absender” schreibe ich auf die Notiz und stecke betroffene Briefe wieder in die Tasche. Die anderen verteile ich gemäß dem Bewohnerbuch in die jeweiligen Briefkästen.

Beim Verlassen des Hauses bekomme ich noch ein “bis übermorgen” hinterher gerufen, auf das ich mit einem Winken aus dem Handgelenk antworte. Es ist mittlerweile Nachmittag geworden und ich verteile noch die letzten kleinen Briefmengen auf dem Weg zurück ins Depot. Kaum dort angekommen, bringe ich die Retoure-Briefe ins Büro der Sortierung und erkläre dem anwesenden Mitarbeiter, was mit den Briefen ist.

Danach setze ich mich wieder in meine Reihe und sortiere bereits den morgigen Tourplan vor, da ich früh einen Arzttermin habe und mir so kostbare Sortierzeit verloren ginge. Gegen 18 Uhr verlasse ich das Depot und schwing mich auf mein Rad gen Heimat, diesmal nehme ich eine andere Route, entlang an größeren Feldern und durch ein kleines Waldstück. Am Ende dieses Waldes hat mich die Zivilisation wieder und ich genieße noch auf einem ehemaligen Kinderspielplatz sitzend die laue Sommerabendluft. Dabei sehe ich die Sonne sich langsam untergehend in den Scheiben der Bürogebäude spiegeln und freue mich immer wieder, wenn ich solche Impressionen eines Tages aufnehmen kann.

Kurz darauf zu Hause angekommen, werde ich schon fröhlich zwitschernd in meiner Wohnung begrüßt. Ich mache mir schnell etwas zu essen und öffne wenig später die Käfigtür, damit meine beiden kleinen geflügten Freunde sich noch ein wenig bewegen können. Ich sitze am Schreibtisch und mache noch ein wenig Büroarbeit, während Toto und Harry auf meinen Schultern sitzen und um die Wette zwitschern. So endet also mein Tag und ich gehe gegen 21 Uhr schlafen, müde aber auch erleichtert wieder einen produktiven Tag hinter mich gebracht zu haben.

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Roman Reed

Seit 2002 widmet er sich der urbanen Erkundung, indem er unbekannte Orte aufspürt, die oft im Verborgenen liegen, obwohl sie mitten unter uns sind. Seine Entdeckungen hält er fotografisch fest und bereichert sie in seinem Blog mit ausführlichen Recherchen und Texten. Neben seinem Interesse für das Urbexing engagiert er sich auch im Schreiben von Geschichten und Büchern sowie im detailreichen Modellbau.

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